Bilder von Ana Laibach und Henrik Pillwitz, Kunstverein Leimen, 1.2.2009
„Nur Farbe“ -„Es ist doch nur Farbe“ – „Es ist doch nur ein Film“ – wer kennt nicht diesen Satz, unendlich oft in der Kindheit von der Mutter, der Großmutter zur Beschwichtigung gehört, und dann an die eigenen Kinder wieder weitergegeben, wenn ein allzu trauriger Film auf die Stimmung schlug oder gar zu heftigen Tränen führte. Ana Laibach fühlte sich durch den Ausstellungstitel „Nur Farbe“ an diesen Satz aus den Kindheitstagen erinnert. Und genau unter diesem Aspekt sind auch die Bilder der in Mannheim lebenden Malerin zu betrachten.
Dieses Zurücknehmende, das Verharmlosen durch den Begriff „Nur“ findet sich in Ana Laibachs Bildern bestätigt. „Nur Farbe“ klingt wie eine Beschwichtigung für etwas, was die Menschen berührt und ihnen nahe geht. Farbe, die unseren Alltag gestaltet und verschleiert, ist ein ideales Medium, um zu manipulieren, zu beschönigen, zu verschleiern oder schlichtweg Aufmerksamkeit zu erwecken. Am Beispiel des Bildes „Mohn“ wird dies besonders anschaulich. Durch den schönen Schein der Farbe, dem authentischen, der Natur entsprechenden, satten Rot der Mohnblumen wird die Aufmerksamkeit des Betrachters angenehm angeregt. Betrachten wir das Phantasietier mit den gelben Streifen, das durch dieses Mohnblumenfeld zu tapsen scheint, so befinden wir uns immer noch auf dieser positiven Seite der Wahrnehmung. Etwas unbeholfen wirkt es wie von Kinderhand gemalt – nicht eindeutig benennbar in seiner Metmorphose von Biene und hundeähnlichem Vierbeiner. Als solches ist es fast niedlich zu bezeichnen.
Diese kindhafte, fast poetische Szenerie ist von einem ereignisreichen Hintergrund hinterfangen. Hier führte die Übereinanderschichtung unzähliger Farbpartien, Farbfelder und Objekte zu einer schier undurchdringbaren und dichten Unordnung. Eine Fülle optischer Anhaltspunkte sind hier gegeben, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen lassen.
In diesem Punkt beteiligt uns Ana Laibach in besonderem Maße aktiv an der Rezeption des Bildes. Eine geradezu spielerische Suche von Objekten setzt ein. Erst mit der Zeit filtern sich aus dem Konglomerat gegenstandsbezogene Formen heraus. Manches wird wieder verworfen und neu bewertet. Vieles bleibt Spekulation oder unbenannt und verharrt weiterhin im nebulösen Schleier des Chaos. Eine Fratze und immer wieder Flugzeuge sind zu erkennen und legen so schon die Grundausrichtung dieser bildlichen Gedankensammlung fest. Unter dieser Voraussetzung setzt beim Betrachter eine Irritation ein, zumindest eine gedankliche Neuorientierung. Das grundsätzlich Spielerische, die positive Stimmung wird relativiert und schlägt günstigstenfalls ins Gegenteil um.
Unter dem Deckmäntelchen einer kindlich zeichenhaften Darstellung, unter dem Schein der attraktiven Farbe hat uns Ana Laibach getäuscht. Das kindhaft skizzierte Tier macht einen Imagewandel durch. Aus dem sympathischen Wolperdinger wird ein Untier, das sich rücksichtslos seinen Weg durch die Natur bahnt, sie niedertrampelt. So kulminiert das Bild zu einer Allegorie der Zerstörung der Natur. Gerade mit diesen vordergründigen Moment der Verharmlosung, mit dem Ana Laibach uns eine attraktive Einstiegshilfe in das Bild liefert, und aber letztendlich nur täuscht, gelingt es ihr, die Drastik ihres künstlerisch hervorgebrachten Anliegens zu steigern.
Auch bei anderen Gemälden Ana Laibachs funktioniert diese Lesart. So bei „Die Blume ist keine Blume“. Auch hier zieht ein Regen von zartrosa Heideröschen unseren Blick an, auch hier erweckt ein kindlich hervorgebrachtes, etwas ungelenk tappendes Tier zunächst eine positive Reaktion. Auch hier sehen wir im Hintergrund ein lebendiges, wirres Durcheinander, das an sich noch nichts Schlimmes verheißt. Lassen wir und näher auf dieses ein und durchdringen wir die Schichten, so ergeben sich auch hier diaphane Einblicke auf Flugzeuge, Raketen, entwurzelte Bäume und gar Reaktortürme. Aus der vermeintlich harmlosen Idylle entsteht erst bei der näheren Beschäftigung mit den einzelnen Bildzeichen eine Irritation, was die Grundstimmung des Bildes betrifft, eine Umorientierung. Eine apokalyptische Szenerie der Zerstörung der Natur hat auch hier in dem Untier eine Personifikation erhalten.
Oder bei dem Bild „Ein wahrer Freund“ – ein kindhaft chiffriertes Bildvokabular umschwirrt eine riesengroße, nun menschliche Figur vor. Etwas linkisch steht sie vor orangerotem Hintergrund. Auch hier entsteht mit der Zeit ein Imagewechsel der Figur. Mit der Zeit zeigt sich der wahre Freund als Soldat, worauf das grüne Kappi hinweist. Der wahre Freund hat der Welt Krieg und Zerstörung beschert, und selbst präsentiert er sich als klägliche Gestalt, geschwächt, ohne Arme und halbnackt. Wir können uns denken, welchen wahren Freund uns Ana Laibach hier vorführt und dem Hohn preisgibt. Sie düpiert und irritiert, so dass auch hier eine drastische, doch intelligente Wendung innerhalb der Erschließung des Bildes stattgefunden hat.
In eine andere Richtung gehen dagegen ihre Puzzles, alleine die Übersetzung bedeutet Rätsel und Verwirrung. Auch hier zeigt sich ein Spiel der Wahrnehmungen, zu dem Ana Laibach den Betrachter – verweilend – einlädt. Hier tritt tatsächlich der spielerische Moment in den Vordergrund, frei von Zeitkritik und Anklage. Surreale Gestalten, zuweilen im Stil eines Comics, tummeln sich hier auf 42 Feldern, die sie der Phantasie und der Spiellust des Betrachters übergibt. Auch hier ist der Begriff Zeit, das längere Verweilen bei und mit ihrer künstlerischen Arbeit ein wesentlicher Teil der Rezeption.
Mit dem Begriff Zeit, dem Verweilen im Bild möchte ich nun den Bogen zu dem Leipziger Maler Henrik Pillwitz spannen. Die Erschließung seiner Bilder ist ebenfalls auf Verweilen und Dauer angelegt, doch auf ganz andere Weise als es bei Ana Laibach der Fall ist. Als Einstiegshilfe dient hier noch stärker als bei ihr die Farbe. Als Komplize dient ihm hierbei die Linie, die sich zumeist zu geometrischen und geometrisierenden Formen schließt. Ab und an als extreme Diagonalen oder Zickzacklinien geradezu rücksichtslos und störend auf die Leinwand gesetzt, führen sie in die Tiefe. Gerade diese impulsiven Farbbahnen gehen ihren dynamischen Weg und reißen das betrachtende Auge mit in den unendlichen Raum.
Pillwitz Gemälde sind grundsätzlich auf dem schmalen Grad zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit anzusiedeln. Das Auge tastet ab, verweilt und mit der Zeit tritt nach der zeitversetzten Betrachtung eine Benennung der Formen ein. Man denke hierbei an geologische Formationen oder aus der Vogelperspektive gesehen Landschaften, die sich in den Bildtiteln Kulm, Hang, Areal, Damm usw. bestätigen. In anderen Bildern präsentieren sich eben diese Formen schwerelos im unbegrenzten und so undefinierten Raum. Diese scheinen für mich auf eine universale den Dingen innewohnende Ordnung, eine Struktur des Chaos hinzuweisen.
Insbesondere bei den früheren Papierarbeiten treten biomorphe Formen mit ebenso hohem Assoziationspotenzial auf. Man denkt hierbei an farblich markierte Energiefelder, visualisierte Bewegungsabläufe, eine theosophische Veranschaulichung des Geistigen oder eben auf organische durch das Mikroskop betrachtet. Alles in allem setzt Pillwitz seinen malerischen Fokus auf archaische Grundformen und Schichtungen, die unmittelbar mit unserem Sein zutun haben und stark in uns verortet sind. Dieses geordnete Chaos, die innewohnende Struktur oder die aus weitem Blickwinkel betrachtete Struktur unserer Welt, Räume und Beziehungen gilt es zu entdecken und wiederzufinden.
Dieses genaue Hinsehen und Erforschen scheint in der Persönlichkeit Henrik Pillwitz verankert zu sein und über das Medium Bild an den Betrachter weitergegeben zu werden. Gerne nehme ich den Vergleich auf, den ein Kollege den Arbeiten Henrik Pillwitz attestierte, mit Sten Nadolnys Held in “Die Entdeckung der Langsamkeit” erinnert, der unendlich viel länger für die Betrachtung der Welt braucht als die anderen.
Dieses grundsätzlichen Rationalität findet in der satten Farbigkeit ihre Gegenwirkung und sorgt so für einen emotionalen Ausgleich. Die Farbgebung der Bilder, deren gestischer Auftrag ist von einer außerordentlichen Eindringlichkeit. Üppig und kraftvoll rundet sie das dynamische Gewand der Bilder ab. Mit weit ausladenden Pinselschwüngen füllt Pillwitz das Aktionsfeld Leinwand, die durchaus eine temperamentvolle Persönlichkeiten erahnen lassen. Zuweilen geben geronnen Suren herabfließender Farbe oder Farbtropfen Ausdruck über diesen spontanen Malprozess.
Zunächst dachte ich, dass die Malereien von Ana Laibach und Henrik Pillwitz nicht unterschiedlicher sein konnten und sich der Reiz der Zusammenkunft in der Unterschiedlichkeit der künstlerischen Positionen äußert. Doch in den Grundzügen zeigen sich Überschneidungen. Beide nehmen mit einer außerordentlichen Sensibilität ihre Umgebung wahr und antworten darauf in ihren Bildern. Beide wirken mit ihren Bildern suggestiv, die eine erzählerisch, der andere durch eine bestimmte Formgebung, die im Grundmenschlichen verankert ist. Bei beiden ist eine malerische Vitalität in Farbe und Form festzustellen.
Beide zwingen uns zu einem Verbleiben in ihren Bildern, die wir als Betrachter nicht nur zu gerne zulassen. In dieser Hinsicht möchte ich abschließend gerne den Vergleich eines Kollegen aufgreifen, den dieser im Rahmen einer Ausstellungseröffnung zwischen Henrik Pillwitz und Sten Nadolnys Buch „Die Entdeckung der Langsamkeit anstellt, und diese Vergleich auf Ana Laibach ausweiten. In beider künstlerischer Arbeit spiegelt sich das Fazit des literarischen Werks wider, dessen Held John Franklin unendlich viel länger für die Betrachtung der Welt benötigt als die anderen, und somit eine Poesie der Verantwortung und ein Lob auf die Besonnenheit liefert.“
Dr. Barbara Brähler, 2009