Eröffnungsrede für Ana Laibach in der Brüder-Grimm-Stube Marburg, Juli 2009
War die Brüder-Grimm-Stube in ihrer Geschichte schon mal Asyl? Und für was genau ist sie jetzt eigentlich Zuflucht? Wer ist Hermann Schulz, und, vor allem, wo ist Herr Schulz? Gibt es ihn wirklich oder ist er Ana Laibach? Wer hat die Bilder und Dinge dieser Ausstellung gemacht, Ana, Hermann, beide zusammen?
Ana Laibach beschert uns mit dieser Ausstellung Fragen über Fragen.
Und eigentlich dachte ich, ich kenne diesen Raum hier eigentlich ganz gut. Und dann kommt Ana / Hermann Laibach – Schulz und plötzlich ist die Brüder-Grimm-Stube wirklich eine Stube, eine „gute Stube“, mit Sesseln und Schaukelstuhl und Vorhängen und Fernseher und Teppich, und Bildern: Fotos der Verwandtschaft von Hermann Schulz und Gemälde. Und ganz nebenbei ist nicht mehr die Kursleiterin Freie Malerei der Marburger Sommerakademie zu Gast in Marburgs nettem und schwierigen Raum für Ausstellungen aller Art, sondern wir sind es, wir sind die Gäste! (zit. Nach Lynn Schöne, Eröffnung Museum Theo Kerg)
Wer ist denn nun eigentlich Herr Schulz?
Ich weiß auch nicht so genau, ob ich ihn nett finden könnte; wenn ich mir die Fotos und die Ahnengalerie ansehe, eher nicht. Obwohl die hilflose Hässlichkeit, die heldenhaften Posen der Jämmerlichkeit die Empathie eher fördert als verjagen … Auch auf den gemalten Bildern gibt es diese zwei Annäherungen: Der erste Blick – Blumen, niedliche kleine Wesen, Schichtungen, Umrandungen, Farben. Der zweite Blick: Flugzeuge, stürzende Flugzeuge, Panzer, kleine Monster, Fratzen, gar nicht niedlich, schwarz. Panzer, Krieg – in Krisen treten die immer vorhandenen, zum Leben gehörenden Paradoxien mehr zu Tage. Ana Laibach zeigt uns die ins Wanken geratene Welt, die Mehrdeutigkeit der kleinen Dinge. Als hätte sie der Welt die Haut abgezogen, und die Dinge darunter entkleidet gezeigt. „Diese Blume ist keine Blume“ und „Wie erkläre ich es meinen Hamster“.
Oder: In jedem Helden wohnt auch ein jämmerlicher, unsicherer Typ, ein Hermann auf der Suche nach einem Rockzipfel, bzw. in diesem Fall einem Bollenhutzipfel, denn schräg ist er schon, gelinde gesagt, der Hermann Schulz. Sowohl die Fotos und Filme als auch die Gemälde zeigen eine Lust an der Sichtbarkeit. Und was sie auch zeigen, ist eine Lust am Fabulieren. Und zwar Geschichten, die ein gewisses autopoetisches Eigenleben haben, deren Ausgang bei der Arbeit ungewiss ist, die wie beim automatischen Schreiben das Unbewusste, das Träumende nicht ausklammern, es weiter spinnen,, konkreter weerden lassen durch dunkle Umrisse, durch den Blick eines unsäglichen Wesens aus dem Bild heraus auf uns, die Betrachter, d urch den Zusammenhang der Bilder mit diesen Wohndingen hier in der Installation.
Was einen bei der Malerei (…) verwirrend berührt, ist der Umstand, dass sich trotz ihres offensichtlich starken Realismus (…) bestrebt ist, das Ungreifbare auszudrücken. (C. Linfert Hieronymus Bosch, 1959) Ein bestimmter Ausschnitt aus einem Alltag, eine Gegenwelt mit Pseudo-Plüschtieren und Pseudogemütlichkeit. Diese merkwürdige Intimität irritiert, stört die museale Sicht auf die Gemälde. Sie hängen nicht ordentlich in Reihe, sie hängen durcheinander und dicht an dicht mit Fotografien. Und Plüschtieren und Dinos und Holzmännchen und Koffern und anderen Dingen, die immer irrealer werden, je länger ich versuche, den Zusammenhang zu fassen.
Wie fiktiv also ist die sogenannte Wirklichkeit?
Beachten Sie in diesem Fall bitte besonders den von meiner Vorrednerin Karin Botschafter-Sichnothe schon erwähnten Ausweis für eine Aufenthaltserlaubnis, bzw. den dahinter steckenden Antrag auf dieselbe. (Anm. Hermann Schulz hat bei der Ausländerbehörde Marburg Asyl beantragt und eine Kopie für eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten.) In diesem Fall muß die Frage nämlich lauten: Wie real ist die Fiktion?! Und es drängt sich dabei die folgende Frage mehr als auf: Wenn jemand, dessen Existenz mehr als nebulös ist, in die Nähe einer realen Genehmigung kommt, wieso müssen dann sehr reale Menschen diese Land in eine unsichere Realität verlassen? Eine Frag jenseits der Verwendung von Farbe auf Leinwand, aber von dieser Installation betrieben. Ana Laibach verweist derweil auf Herrn Schulz und benutzt zunächst einfach nur Farbe auf Leinwand.
Ein Spiel, mit den Möglichkeiten der Malerei und der Zeichnung _ bitte betrachten Sie auch die Alben und Bücher mit Zeichnungen, in denen Sie ausdrücklich blättern dürfen – ein Spiel aber vor allem mit den Erwartungen an die Malerei. Ein Spiel mit den Werten.
Nur Spiel? Oder, noch schlimmer: Spielerei! Darf sie mit den Werten spielen, mit der Vergangenheit, mit der Darstellung garstiger Dinge? Wie gesagt, Fragen über Fragen …
Eindeutige Antworten müssen aber ausbleiben. Ein sowohl als auch ist oft realistischer als ein entweder oder. Also nicht entweder Hermann oder Ana, sondern sowohl als auch! Was die Geschichte mit der Mutter angeht, das lassen Sie sich am besten von der Malerin selbst erläutern, das würden Sie mir sowieso nicht abnehmen. Aber Ana Laibach und sogar Hermann Schulz sind keine Missionare. Niemandem wird hier etwas aufgezwungen. Auch nicht das Gläschen zur Vernissage, zu dem wir Sie gerne einladen möchten!
Tina Stolt