Rede zur Ausstellungseröffnung
DER ODER DIE TÄTER SOLLEN SICH MELDEN!
An Ana Laibach und Ingo Lehnhof beisst sich der Liebhaber von Kategorien und Schubladen die Zähne aus. Sie wollen in keine hinein passen. Aber sie und ihre Arbeiten passen ganz wunderbar zusammen in dieser Ausstellung, die für die geneigten Betrachter die eine oder andere Herausforderung bereit hält.
Und damit willkommen in der Ausstellung „Der oder die Täter sollen sich melden!“ von Ana Laibach und Ingo Lehnhof.
Warum es gut zusammen geht, kann ich versuchen zu erklären, ganz subjektiv, vielleicht den Einen oder die Andere zur eigenen Subjektivität ermuntern. Nun, ich habe ja schon einige Male zu Ana Laibach bei Ausstellungen etwas sagen dürfen. Einfach war das eigentlich nie – denn dem redend gerecht zu werden, was sie da macht, den Witz zu verstehen und ihn nicht zerreden, nicht in die falsche Richtung zu galoppieren, habe ich immer als Herausforderung gesehen.
Jetzt hängt die Latte erheblich höher, in dem hier zwei Künstler glücklich zusammen ausstellen, die zwar einen recht verschiedenen künstlerischen Duktus haben, aber ganz offensichtlich über einen ähnlichen Blick und Humor verfügen. Vielleicht -hoffentlich- gelingt es mir, diese Gemeinsamkeit in der künstlerischen Strategie zu finden und zu erklären. Es fängt schon mit dem Titel an, der halb Recherche, halb Zufallsfund ist. Beim Nachschlagen des Begriffs „Ellipse“ gefunden. Dies sind Sätze mit Auslassungen, die leicht ergänzt werden können, trotzdem verständlich sind, aber eine gewisse kognitive Leistung erfordern. Das kann umgangssprachlich sein wie bei: „Wasʻn?“ (für „was ist oder soll denn das?“) oder etwas ausführlicher wie das Ausstellungsmotto dieser Ausstellung. (In meinem Lexikon stand übrigens das Beispiel: (Was) „frisch gewagt (ist) ist halb gewonnen“…) Dabei merkt man schnell, dass diese Sätze eine unfreiwillige Komik haben, eine hübsche Absurdität.
– Welcher Täter meldet sich denn freiwillig? Und was war es denn für eine Tat? Ein Delikt, eine Straftat oder gar eine gute Tat? Oder auch Tatütata, wie es die beiden Künstler kurz zusammenfassen. Das hat dann schon ein wenig von Loriot, Heinz Erhard, Gerhard Polt oder Karl Valentin, also etwas eher Ernstes.
Der „Superopa“ auf dem Bild von Ingo Lehnhof schaut eher ertappt ins plötzliche Scheinwerferlicht, vielleicht ist aber auch seine letzte gute Tat auch schon etwas länger her… „Schießen Lernen, Freunde treffen“ ist auch so ein Satz (der Titel einer der Serien Ana Laibachs) der sich einem im Kopf zu einer Spirale oder auch Luftschlange kringelt, einem eine Nase dreht, und wenn man zu lachen anfängt, fies ins Knie schiesst. Ist nur eine Fleischwunde, Ana, nicht so schlimm…
Die Titel bei beiden führen ein gewisses Eigenleben, eine, wenn Sie so wollen, poetische, wortwitzige Ebene, die eher ein eigenständiger Kommentar als Erläuterung ist.
Beide arbeiten in mehreren verschiedenen künstlerischen Techniken:
Ingo Lehnhof zeigt vor allem Malerei, aber auch Fotografie/digitale Bildbearbeitung und Objekte, teils frei stehend, teils in einem Objektkasten. Ana Laibach zeigt ebenfalls Malerei auf verschiedenen Bildträgern wie Leinwand oder Keramik, daneben Zeichnung, Monotypie, Videoperformance und Collage/Assemblage.
Beide haben an unterschiedlichen Kunsthochschulen studiert, Ingo Lehnhof in Braunschweig, AnaLaibach in Karlsruhe. Beider Werke sind so zusammen inszeniert, dass es zu einer wie gewachsenen Einheit wird. Es gibt Bereiche, die auch tatsächlich zusammen wachsen, zum Beispiel tauchen beide auf den Fotografien auf. Manche Zeichnungen wirken wie Kommentare dazu oder zeigen auch eine Art „Fight Club der Linien“; und manche Bilder scheinen die Hintergrundstory zu den Begebenheiten zu liefern, sozusagen „die Homestory der Herren Mord und Totschlag“ („Mord und Totschlag“ ist der Titel eines der Bilder Lehnhofs, das zwei allegorische Figuren zeigt). Doch jede dieser Werkgruppen, (beide arbeiten offensichtlich gerne in Serien), kann auch selbstständig für sich gesehen werden. Manches ist auch vor dieser Zusammenstellung schon da gewesen, anderes erst jetzt ganz neu entstanden.
Der Titel wird so zum roten Faden für das Zusammenwirken: Das sind nicht irgendwelche Fotos von irgendwelchen Leuten, die einfach nur nostalgisch aussehen. Neben Kriegsalltagsfotos, Filmstills, Personen und Unpersonen ist da zum Beispiel auf einem alten polizeilichen Verbrecherfotos Emmet Dalton von der Daltongang, (von denen übrigens die Daltons bei Lucky Luke ihren Namen hatten) der einzige Überlebende eines schwer missglückten Bankraubes mit finaler Schießerei. Nach ca.14 Jahren Gefängnis fing er an, zu schreiben und bekam später sogar kleine Rollen in Hollywood. Oder Tippi Hedren aus Hitchcocks „Die Vögel“ – ein Film, der die Ambivalenz der Natur so gut inszeniert hat, dass wir immer bei einer größeren Ansammlung von Krähen daran denken müssen.
Zwei von vielen, zum Brüllen komischen Konstellationen, ich sage nur: „Cindy und Bert“.
Die Leinwandbilder von Ingo Lehnhof, die virtuos und schwungvoll gemalt sind, benutzen alle Möglichkeiten der Technik. Das Fleisch glänzt, die Verzerrungen sind so gut eingebaut, dass wir es einfach akzeptieren. Die Allegorien sind schön erschreckend, springen uns elegant an, sind klug und ausgewogen komponiert. Es gibt auch eine Ebene des Selbst im Bild, die Physiognomie des Malers scheint hier und da aufzutauchen. Bei „Schwer bewaffnet“ sehen wir zum Beispiel einen sonnenbebrillten, ansonsten unbekleideten Mann, der sich herausfordernd kokett dem Betrachter entgegen streckt, halb kokett, halb drohend. In der Hand hält er, ungefähr auf der Höhe des überdeutlich dargestellten Gemächts, eine Pistole, deren Farbe uns im Unklaren darüber lässt, ob es sich hier womöglich „nur“ um eine Wasserpistole handelt. Auf jeden Fall wird er nicht davor zurück schrecken, das eine oder andere zu benutzen…
Auch die Objektfiguren, teils freistehend, teils in einem kleinen Vivarium oder Diorama zeigen eine ganze Szene plastisch, in liebevoller Kleinteiligkeit und herzzerreissend komisch.
Beide Maler treten nicht hinter ihren Bildern zurück sondern sind mitten darin, aber nicht zwingend als Ana und Ingo, sondern in verschiedene Rollen geschlüpft. Ana Laibach, die sich selbst in ihren Video-Performances besetzt, sagt über Ingo: „Er ist eher der Realist von uns beiden…“
Das sagt die Malerin der hintergründigen Darstellungen von Versehrten, der schrägen Blicke und schief stehenden Delinquenten, sagt die Performerin der Filme, die an die Schmerzgrenze geht. Vor allem an die der Betrachter, z.B. in „scare“. Da sind aber auch die zunächst nostalgischen Settings der Fotos, die einen Betrachter plötzlich aus der Reserve schiessen, wenn man erkennt, wer da zu sehen ist. Ist das echt Hitler? Jetzt könnte man natürlich vermuten, dass die einfach vor nichts zurückschrecken, diese Künstler. Dürfen die das? Dürfen die einfach alte Bilder übermalen? Aus Nasen Schwänze und aus Titten Augen machen wie in dem großen Vexierbild von Ana? Darf der Betrachter so verunsichert werden? Dürfen die das?
Sie können sich wahrscheinlich schon denken, dass meine Antwort darauf ja lautet, dürfen sie. Wer, wenn nicht Künstler, dürfen das Undenkbare denken. Müssen das Unsichtbare zeigen, das Unerhörte sagen. Das bedeutet dann eben auch, dass es nicht nur besonders schöne Hautpartien auf Leinwand oder besonders witzige schwarzweiße Passagen sind, sondern auch einmal besonders schöne Blutlachen oder besonders glaubhafte Irritationen und Persiflagen sein können. Und Gurken in der Berglandschaft. Und lustvolle Teppichklopfer. Wenn Bildkünstler über etwas nachdenken, kann es eben sein, dass ein Teil dieser Denkarbeit visuell, ohne Worte verläuft. Wenn man anfängt, über etwas nachzudenken, weil es einem vielleicht aufgefallen ist oder sich eine Aufgabe gestellt hat, ein Thema, dann begegnet es einem plötzlich überall, auch in völlig entlegenen Gebieten, und dann beginnen sie zu sammeln. Die Kreise bzw. Ellipsen schließen sich und der Blick auf die Dinge beginnt sich zu verändern. Künstlerische Forschung ist immer zu einem Teil auch nicht-linear, sprunghaft, spielerisch, lustvoll und offen für alles, z.B. für zufällige Funde: Für Schäferhundbilder, für tote Insekten, für Augenblicke.
Aber so zufällig ist es denn auch wieder nicht; wenn sich der Blick für etwas schärft, steigt die Aufmerksamkeit an. Wenn Ingo Lehnhof und Ana Laibach durch den virtuellen Flohmarkt der Erscheinungen gehen, ist ihr Blick sicherlich entspannt, aber auch aufmerksam und zielsicher. Es ist nur ein kleiner Eingriff, um den Hirsch zu verarzten und damit zu verwandeln. Beide haben einen guten Blick für Absurditäten, Skurilitäten, für merkwürdige Dinge, die dann plötzlich doch zusammenpassen. Darin liegt aber nicht nur die spielerische Strategie, die Kreativität im Sinne von Neuschöpfung für die beiden Maler, sondern auch etwas, was uns als Betrachter etwas neu sehen und damit denken lässt. Es ist der intensive Blick unter die Offensichtlichkeit der Oberfläche. Es ist der Was-wäre-wenn Gedanke. Was wäre, wenn ich 10 Minuten später, 10 km weiter weg auf die Welt gekommen wäre, 100 Jahre früher. Der das-hätte-ich-sein-können Gedanke, der Täter=Opfer=Täter Gedanke. (Den Täter trifft keine Schuld, sagt die Fliege bei Ana)
Es ist die dünne zivilisatorische Membran, die uns alle von der Ameise oder der Hyäne trennt. Die dünne Haut der Individualität, die fast nichts und uns doch alles ist. Das kleine Gen oder die Fläche, die beides sein kann im großen SchwarzWeiß Bild von Ana. Die beiden zeigen uns das auf unterschiedliche Art in ihren Bildern, – zumindest ist dies ein Aspekt. Damit sind sie für mich nicht wirklich nur Realisten, auch keine Surrealisten sondern Subrealisten, weil sie auf die unter der Oberfläche der Realität existierende Wahrheit abzielen.
Die Subjektivität bleibt wichtig, der malerische Witz bleibt als Einstieg und als Angebot zum Schauen für den Betrachter auch weiterhin wirksam. Das hört sich nach einem Appell, nach einer moralischen Gardine an – das ist es aber eben nicht, auch diese Schublade funktioniert nicht.
Denn da ist auch immer noch die unbedingte Lust an der Malerei, am lʻart pour lʻart der Farben und Formen. Die Lust am offenen Blick für die Zufälle des Findens und der Skurrilitäten, die sich
nicht alle erklären und zusammenfügen lassen. Da ist das Spiel der Veränderungen, das Angebot an die Betrachter, selbst zu spielen und womöglich zu ganz anderen Erkenntnissen zu kommen.
So, die Jagd nach Worten ist hier zu Ende, um es mit der Fliege zu sagen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ganz viel Spaß und bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit!
Prof. Tina Stolt, Universität Landau/Koblenz